Aufhebung der Industriezölle – die Position der Wirtschaft

An die Mitglieder des Nationalrats
26. Mai 2020

Aufhebung der Industriezölle (19.076) – die Position der Wirtschaft

Geschätzte Damen und Herren

Am 04. Juni 2020 werden Sie sich gemäss Sessionsprogramm mit der Frage nach der Aufhebung der Importzölle auf Industrieprodukte befassen (Bundesratsgeschäft 19.076). Gerne erläutern wir Ihnen die Sichtweise der unterzeichnenden Dach- und Branchenverbände sowie Industrie- und Handelskammern zu dieser Vorlage.

Die Wirtschaft unterstützt sowohl die Abschaffung der Industriezölle wie auch die Vereinfachung der Zolltarifstruktur. Der Industriezollabbau bringt Schweizer Unternehmen gerade mit Blick auf die immensen wirtschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise eine dringend notwendige finanzielle und administrative Entlastung.

Die Politik kann mit dem Industriezollabbau als einfaches und nachweislich wirksames Instrument das wirtschaftspolitische Umfeld für Schweizer Unternehmen eigenständig verbessern. Die Einnahmeverluste in der Bundeskasse werden durch den Wohlfahrtsgewinn von jährlich 860 Mio. CHF überkompensiert.

Der Industriezollabbau stärkt langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Exportnation Schweiz. Auch die Konsumenten/-innen profitieren. Gleichzeitig können die Unternehmen auf dem Schweizer Markt konkurrenzfähiger auftreten. Die Sorge um eine geschwächte Position der Schweiz bei Freihandelsverhandlungen ist hingegen unbegründet. 

Die Schweizer Wirtschaft ist eine der global integriertesten Volkswirtschaften und stark in grenzüberschreitende Produktionsnetzwerke eingebunden – rund 50 Prozent der Güterimporte und -exporte sind Zwischenprodukte. Die Industrie ist deshalb auf günstige ausländische Vorleistungen angewiesen. Künstlich durch Importzölle verteuerte Beschaffungskosten schützen nicht vor ausländischer Konkurrenz, sondern sie bremsen die Produktivität, die Innovationsfähigkeit und die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen.

Schweizer Firmen bezahlen heute jährlich rund 500 Millionen Franken Zollabgaben auf Importe von Industriegütern. Dies, obwohl 75 Prozent dieser Abgaben im Prinzip im Rahmen von bilateralen Freihandelsabkommen (FHA) bereits abgeschafft wurden. Diese möglichen Zollersparnisse können jedoch aus verschiedenen Gründen nicht vollumfänglich genutzt werden. Die Abschaffung der Industriezölle stellt deshalb eine wertvolle Ergänzung in der Umsetzung von FHA dar.

Nebst wegfallenden Zollabgaben steht die administrative Entlastung für Wirtschaft und Verwaltung von über 100 Millionen Franken im Zentrum. Davon profitieren 35 Prozent aller Industriegüterimporte: Wegfall von Spezialverfahren (aktiver Veredlungsverkehr, Zollerleichterung), provisorischen Veranlagungen, Nachprüfungen, Beschwerden oder Strafverfahren.

Der Industriezollabbau ist zudem ein wirksames Mittel im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz und bringt Vorteile für die Konsumenten/-innen. Angesichts des hohen Konkurrenzdrucks im Detailhandel ist davon auszugehen, dass die Unternehmen entsprechende Kosteneinsparungen an die Endkunden weitergeben (z.B. Kleider, Schuhe, Autos oder Kosmetika). Dadurch sinkt das Preisniveau gemessen an den Haushaltsausgaben schweizweit um 350 Millionen Franken. Gleichzeitig führt der Industriezollabbau durch die gesteigerte Wirtschaftsleistung zu höheren Einkommen. Für eine vierköpfige Familie resultiert so gemäss Schätzungen ein Plus von rund 170 Franken pro Jahr1.

Die fehlenden Zolleinnahmen werden durch Wohlfahrtsgewinne von jährlich 860 Millionen Franken mehr als aufgewogen. So führt der mit dem Industriezollabbau verbundene Wachstumseffekt bei gleichbleibenden Steuersätzen und pro-Kopf-Einkommen zu höheren Steuereinnahmen. Die positiven gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Zollabbaus entkräften die geringeren Einnahmen als Argument gegen die Vorlage vollumfänglich.

Die Sorge um die vermeintlich geschwächte Position der Schweiz bei Freihandelsverhandlungen ist unbegründet. Erstens spielt der Zollabbau bei modernen FHA eine untergeordnete Rolle. So nutzen etwa Entwicklungsländer bereits heute das allgemeine Präferenzsystem APS. Zweitens hat die Schweiz mit vielen Industriestaaten bereits FHA abgeschlossen. Drittens zeigen Länder wie Kanada, Norwegen oder Singapur, dass auch ohne Industriezölle substanzielle FHA abgeschlossen werden können.

Die Schweiz verfügt im WEF-Vergleich über das weltweit komplizierteste Zolltarifsystem. Darum unterstützt die Wirtschaft eine entsprechende Vereinfachung der Tarifstruktur. Die Umstellung geht jedoch mit firmenseitigen Kosten einher. Deshalb muss die Änderung der Tarifstruktur gleichzeitig mit der Revision des harmonisierten Systems der Weltzollorganisation (WZO) erfolgen.

Die Corona-Krise stellt die Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Es ist nun wichtig und dringend, die Erholung der Wirtschaft rasch mit einfachen, nachweislich und breit wirksamen Instrumenten zu unterstützen und ein Zeichen gegen Abschottungstendenzen auf internationaler Ebene zu setzen. Mit dem Industriezollabbau können die Rahmenbedingungen für Schweizer Unternehmen auch langfristig und dauerhaft verbessert werden. Die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts wird nachhaltig gestärkt. In diesem Sinne ersuchen wir Sie um Eintreten auf und Zustimmung zum Industriezollabbau (19.076), um den stark herausgeforderten Schweizer Unternehmen noch vor der Sommerpause ein positives Signal senden zu können.